In der Wordpress-Welt braut sich etwas zusammen

23. Oktober 2024
Autor: Peter Schnoor   |   Lesezeit: 9 Minuten

WordPress ist ein System, das es Millionen von Menschen ermöglicht, einfach und schnell Websites zu bauen. Auch wir nutzen WordPress für viele unserer Kundenprojekte. Aber hinter den Kulissen braut sich etwas zusammen, und wir fragen uns: sollte man WordPress so noch nutzen?

Dazu muss ich etwas ausholen:

Was ist WordPress?

Den meisten Menschen, die schon einmal etwas mit Websites zu tun hatten, ist WordPress ein Begriff. Es ist ein weit verbreitetes Blogging- bzw. Content-Management-System (CMS), das es Nutzern ermöglicht, einfach und flexibel Websites zu erstellen und zu verwalten. Es wurde 2003 von Matt Mullenweg und Mike Little ins Leben gerufen und hat sich seitdem zu einer der beliebtesten Plattformen für Webentwicklung entwickelt. Die Firma Automattic, die von Mullenweg gegründet wurde, spielt eine zentrale Rolle in der Weiterentwicklung von WordPress und bietet zahlreiche Dienstleistungen rund um die Plattform an, darunter Hosting und Premium-Plugins.

Ein Grund für die große Verbreitung von WordPress ist die Benutzerfreundlichkeit, die es auch technisch weniger versierten Personen ermöglicht, ansprechende Websites zu erstellen und zu bearbeiten. Zudem hat sich über die Zeit durch die Arbeit von tausenden EntwicklerInnen eine riesige Auswahl an Themes und Plugins gebildet, die die Funktionalität und das Design der Websites erweitern. Die Community rund um WordPress ist sehr aktiv und trägt zur kontinuierlichen Verbesserung und Aktualisierung des Systems bei. Diese Flexibilität und die ständige Weiterentwicklung haben dazu geführt, dass heute über 40 % aller Websites im Internet mit WordPress betrieben werden.

Ein Blogsystem oder ein CMS?

Zu Beginn wurde WordPress als einfache Plattform entwickelt, mit der man Blogs erstellen konnte. Viele grundlegende Eigenschaften, die ein modernes Content-Management-System auszeichnen (benutzerdefinierte Inhaltstypen und Felder, Mehrsprachigkeit, klar definierbare Benutzerrollen, etc.) sucht man dort bis heute vergebens. Zwar gibt es all diese Funktionalitäten in sehr guten Erweiterungen, aber die Tatsache, dass sie standardmäßig fehlen, macht die Abgrenzung zwischen einer Blogging-Plattform und einem vollwertigen CMS bei WordPress schwierig.

Es ist also gerade bei WordPress nicht einfach, die Bedeutung von Plugins zu hoch einzuschätzen. Plugins sind Erweiterungen zum System, die größtenteils von freien Entwicklern in ihrer Freizeit erstellt und gewartet werden. Sie gehören zum Ökosystem WordPress genauso dazu wie all jene, die Übersetzungen oder Anleitungen bereitstellen, Fehler beheben und Werbung für WordPress machen. Dieses Ökosystem, die riesige weltweite Community, ist der Hauptgrund, weshalb WordPress solchen Erfolg hatte und heute von persönlichen Blogs bis hin zu komplexen Unternehmenswebsites für die unterschiedlichsten Einsatzzwecke genutzt wird.

Open Source und die Bedeutung von "Giving Back"

Die Community von WordPress, wie allgemein die Welt von Open Source, basiert auf der Überzeugung, dass am Ende jeder davon profitiert, wenn er oder sie seine Zeit und Gaben kostenlos für die Allgemeinheit investiert. Vorher wurde eine Gruppe von Entwicklern (z.B. in einem Unternehmen) dafür bezahlt, dass sie ein System entwickeln, und dieses System wird dann teuer verkauft. Bei dieser so entstehenden proprietären Software ist der Quellcode nicht öffentlich zugänglich und ihre Nutzung, Modifikation und Verbreitung wird durch Lizenzvereinbarungen eingeschränkt. In diesem Modell kontrolliert ein Unternehmen oder eine Organisation die Entwicklung und den Vertrieb der Software, was oft zu höheren Kosten für die Nutzer führt, bisweilen Sicherheitsprobleme mit sich bringt oder die Anpassungsfähigkeit einschränkt.

Open Source dagegen basiert auf der Offenheit des Quellcodes, was es jedem ermöglicht, die Software zu nutzen, zu modifizieren und weiterzugeben. Diese Transparenz fördert eine gemeinsame Entwicklung, bei der Entwickler weltweit zusammenarbeiten, um die Software zu verbessern. Die Vorteile für Teilnehmende umfassen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu erweitern und Kosten zu sparen, während die Allgemeinheit von Innovation, Wettbewerb und digitaler Souveränität profitiert. Insgesamt stärkt Open Source die Gemeinschaft und ermöglicht eine breitere Zugänglichkeit zu hochwertigen Softwarelösungen.

Auch WordPress ist Open Source. Jeder kann seinen Quelltext einsehen, kopieren, verändern und - zu den selben Bedingungen - veröffentlichen. Gleichzeitig ist WordPress mit seiner weltumspannenden Bedeutung ein Feld, in dem auch viel Geld gemacht werden kann. Von Hosting-Unternehmen über Plugin-Entwickler, die kostenpflichtige Pro-Versionen mit größerem Funktionsumfang veröffentlichen bis hin zu Kreativen und Unternehmen wie uns, die mit der Erstellung von (unter anderem) WordPress-Websites ihr Geld verdienen.

Das "Five for the Future"-Programm

Open Source-Projekte leben von der aktiven Beteiligung ihrer Community. Hier gebieten es moralische Überlegungen der Fairness, besonders diejenigen zur Mitwirkung zu ermutigen, die besonders viel von den Projekten profitieren. Das kann über die Investition von Zeit und Fähigkeiten (z.B. für Entwicklung und Dokumentation) oder in Form von finanzieller Untersützung und Spenden geschehen. Sicher kennen Sie die jährlichen Spendenbanner auf Wikipedia. Das ist die Idee: Das Projekt selber ist frei zugänglich und wird von Tausenden am Leben gehalten. Aber die Millionen, die davon profitieren, können und sollten ihrerseits einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Bei WordPress gibt es hierfür das "Five for the Future"-Programm. Es ermutigt Unternehmen, Entwickler und Einzelpersonen, fünf Prozent ihrer Arbeitszeit oder Ressourcen in die Weiterentwicklung und Unterstützung von WordPress zu investieren. Ziel ist es, die Nachhaltigkeit und das Wachstum des WordPress-Ökosystems zu fördern, indem die Community aktiv an der Verbesserung der Software und ihrer Funktionen mitwirkt. Was hier aber auffällt ist, dass lediglich Beiträge zum WordPress-Kernsystem selber dazugerechnet werden, nicht die unzähligen Stunden, die Menschen z.B. für die Entwicklung, Wartung, Dokumentation und Übersetzung von Plugins investieren. Das ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten.

Das Drama beginnt: Matt Mullenweg und WP Engine

Nach dieser etwas längeren Einleitung beginnen wir also mit der Schilderung des aktuellen Dramas. Dabei spielen zwei einflussreiche Protagonisten in der WordPress-Welt eine Rolle. Auf der einen Seite die Firma "WP Engine", die 2010 gegründet wurde und v.a. über WordPress-Hosting ihr Geld verdient. Außerdem veröffentlichte sie ein Plugin namens "Advanced Custom Fields" (ACF), das WordPress durch die einfache Einbindung von individuellen Inhaltstypen und Feldern erst zu einem richtigen CMS macht. Für dieses Plugin vertreibt "WP Engine" ein kostenpflichtiges Pro-Plugin mit erweitertem Funktionsumfang, aber bereits die kostenlose Basisversion ist ausgesprochen gut programmiert und für die meisten Anwendungsfälle ausreichend.

Auf der anderen Seite des Dramas steht Matt Mullenweg, der Gründer und einer der führenden Köpfe von WordPress. Er stört sich schon lange an der Tatsache, dass bei WP Engine bereits vor einiger Zeit Risikokapitalgeber (sog. "Venture Capitalists") eingestiegen sind, deren Hauptaugenmerk seiner Meinung nach auf dem schnellen Geld liege und nicht auf der nachhaltigen Entwicklung des WordPress-Ökosystems. So beschuldigt er WP Engine unter anderem schon länger, nicht für die kommerziellen Markenrechte von WordPress und WooCommerce zu zahlen, und auch allgemein nicht genug für WordPress zu tun, insbesondere auch nicht im Rahmen der "Five for the Future"-Initiative. Er fordert von WP Engine 8% ihres Umsatzes oder 8% der Arbeitszeit ihrer Entwickler für den Wordpress-Core (oder eine Kombination aus beidem in Höhe von 8%), sowie das Unterlassen in seinen Augen unrechtmäßiger Geschäftspraktiken.

ACF wird zu SCF

Im Zuge dieser Fehde (es gingen bereits juristische Klagen hin und her) und um seinen Forderungen gegen WP Engine Nachdruck zu verleihen, wurde den Entwicklern von WP Engine vor Kurzem zunächst der Zugriff auf WordPress.org abgeschnitten, der offiziellen Wordpress-Plattform, über die bisher die Sicherheitsupdates fast aller Plugins laufen, inklusive ACF. Millionen Nutzer von ACF hatten also über Nacht keine Möglichkeit mehr, von WP Engine mit Sicherheitsupdates versorgt zu werden. Und den Entwicklern wurde keine Möglichkeit gegeben, sie offiziell darüber zu informieren oder alternative Update-Wege bereitzustellen.

In einem zweiten Schritt ging Mullenweg noch weiter und hat das ACF-Plugin von WP Engine kurzerhand gekapert - unter dem Vorwand von Sicherheitsbedenken, immerhin könnten ja keine Sicherheitsupdates mehr eingespielt werden (wie auch?). Auf WordPress.org, an Stelle des bisherigen Plugins "Advanced Custom Fields" findet sich jetzt nur noch ein Plugin namens "Secure Custom Fields", mit exakt dem selben Funktionsumfang wie das bisherige ACF, sogar mit der selben Formatierung und dem ACF-Logo im Banner. Statt einen - in der Open Source-Welt üblichen - Fork zu entwickeln (und mit dem bei Null anzufangen) hat Automattic damit eines der bekanntesten (und in unseren Augen besten) Plugins einfach gekapert und sich selbst unter den Nagel gerissen. Ein nicht nur in der WordPress-Welt einmaliger Vorgang.

Nur der Beginn?

Äußerungen von Mullenweg deuten an, dass das Kapern von ACF nicht das Ende, sondern eher der Beginn einer großen Aktion sein könnte, beliebte Plugins mit wichtigen CMS-Funktionen irgendwann in den Kern von WordPress zu integrieren. Warum auch alles neu entwickeln, wenn der Code ja frei verfügbar ist? Aber das sind Spekulationen.

Dass Mullenweg und Automattic damit aber den Konflikt jetzt auf dem Rücken der wehlosen Nutzer austragen und einen schlimmen Präzendenzfall schaffen, der mit der Idee von freiem Code nichts mehr zu tun hat, ist für uns offensichtlich. Wer sollte noch ein Interesse daran haben, seine Zeit, Fähigkeiten und Mühe in ein Plugin zu stecken, nur um im Erfolgsfall über Nacht quasi enteignet zu werden? Die Auswirkungen einer solchen Aktion auf das Ökosystem von WordPress sind nicht abzusehen.

Wie geht es für uns und unsere Kunden weiter?

Wir als Agentur stehen momentan zwischen den Stühlen. Wir haben das ACF-Plugin als eines der besten und hilfreichesten Plugins für WordPress gerne genutzt und setzen es bisher selbstverständlich auch in Kundenprojekten ein. Dass die Qualität oder der Support für diese Plugins darunter gelitten hätte, dass bei WP Engine seit 2018 Risikokapitalgeber eingestiegen sind, können wir nicht bestätigen - im Gegenteil. Durch die Umstellung bei WordPress.org wurde aber jetzt in all unseren Projekten praktisch über Nacht das ACF-Plugin durch die SCF-Alternative von Automattic automatisch ersetzt.

Akute Auswirkungen hat dieser Wechsel erstmal nicht und wir beobachten die Lage genau. Tatsächlich erwarte ich persönlich, dass das SCF-Plugin mittelfristig in den WordPress-Core übernommen werden wird - aber das ist reine Spekulation. Wir bieten unseren Kunden an, kostenlos zurück auf das originale ACF-Plugin zu wechseln, für das es inzwischen alternative Update-Möglichkeiten gibt. Aber weil die Entwicklungen noch zu frisch sind und wir nicht wissen, wie sich alles entwickeln wird, raten wir aktuell (noch) nicht explizit zu diesem Schritt, obwohl ein solcher Wechsel aus Prinzip und Protest für manche nahe läge.

Wir bedauern diese Entwicklungen sehr und überlegen auch, was das für uns als Agentur bedeutet. WordPress ist ja beileibe nicht das einzige System, das wir für Kundenprojekte verwenden. Welches System im Einzelfall konkret zum Einsatz kommt, hängt immer zentral davon ab, was unsere Kunden brauchen. Aber wir behalten die Entwicklung im WordPress-Ökosystem im Auge und es ist wahrscheinlich, dass in Zukunft öfter Alternativen zu WordPress zum Einsatz kommen werden als bisher.

Es gibt immer Alternativen

WordPress ist ein gutes System - aber nicht für jeden. Und speziell im Licht der neuesten Entwicklungen sollten Sie auf Entwickler vertrauen, die den Überblick haben. Denn es gibt immer gute Alternativen. Sprechen Sie uns an, um mehr dazu zu erfahren!

Unterschrift
Peter Schnoor, Gründer Netjutant
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